„Persönliche Erfüllung“: Bootsbauerlehre mit 40

September 3, 2019

Als „Spätberufener“ begann Marc Iser seine Lehre mit 40 Jahren. Kein Wunder, da er nun als Bootsbauer seiner größten Leidenschaft am Bodensee nachkommen kann.

Im Interview mit „Lehre in Vorarlberg“ erzählt der Lustenauer seinen Quereinstieg vom Management eines internationalen Unternehmens zum Bootbauer in Fußach. Infos zum Lehrberuf bekommt ihr hier.

Auch wenn sich die Berufswelt derzeit im Wandel befindet, klingt eine Lehre mit 40 doch etwas abstrakt. Wie kam es dazu?
Ich wollte mein Hobby schon immer zum Beruf machen. Das war damals schon so, als ich als Skate- und Snowboardfan erst den Hotshop und später Sajas mitgegründet habe. Doch die Interessen verändern sich. Seit Jahren bin ich leidenschaftlicher Segler, also wollte ich wieder meine Freizeit in den Mittelpunkt stellen. Und mit all den Angeboten, Umschulungen und Förderungen ist es heutzutage tatsächlich so einfach wie noch nie, seine Karriere den Bedürfnissen anzupassen. Ich segle gern auf Booten, jetzt baue ich sie sogar selbst.

 

Wie funktionierte der Weg von der Leidenschaft zum Beruf?
Erst einmal habe ich mir alle Optionen angesehen, mit vielen Leuten geredet und ein Netzwerk aufgebaut. Wo gibt es im Bodenseeraum Bootsbauer? Wie sieht die Lehre aus? So kam ich auch in Kontakt mit Bilgeri Yachtbau in Fußach, der eine Koryphäe im Holzbootbau ist. Das Timing war perfekt, sie haben gerade einen Lehrling gesucht. Mit dem Verein FAB in Dornbirn, der Arbeit und Beschäftigungsmodelle fördert, habe ich anschließend über die Schule gesprochen. Ich habe ja bereits eine abgeschlossene Doppellehre als Werkzeugmacher/Werkzeugmechaniker. Und da die Vorstellung für mich seltsam war, nochmals mit 15-Jährigen in die Schule zu gehen, habe ich mir die Lernunterlagen selbst organisiert und vor zwei Jahren erfolgreich die Lehrabschlussprüfung in Theorie und Praxis bestanden.

 

„Leute im Umfeld waren begeistert“

Wie verlief die psychologische Umstellung vom erfolgreichen Marketing-Verkaufs-Experten zum Bootsbauerlehrling?
Was ist einem persönlich wichtiger: Die permanente Bestätigung durch wirtschaftlichen Erfolg – was in meiner Branche nicht selten im Burnout endet – oder die persönliche Erfüllung finden? Diese Frage habe ich mir gestellt und klar beantwortet.

Und die gesellschaftliche Umstellung inklusive aller Reaktionen?
Die Leute in meinem Umfeld waren begeistert. Es gab natürlich viele überraschte Gesichter, aber es beneidet dich fast jeder, dass ich meiner Leidenschaft folge. Und dann auch noch Bootsbauer! Ein Beruf, der ja doch eine gewisse Romantik mit sich bringt.

Apropos Romantik: Was fasziniert dich am Beruf?
In erster Linie natürlich das Segeln selbst. Du hast mit Booten, mit Wasser, mit Handwerk, mit Holz und anderen Materialien zu tun. Darüberhinaus siehst du das Thema, die Zusammenhänge aus einer völlig neuen Perspektive. Wir sind gerade am ersten Holzboot dran, dass wir von Grund auf neu bauen. Sonst sind es ja viele Reparaturen und Wartungen, die wir durchführen müssen. Hinzu kommt, dass unsere Kunden zeigen eine unglaubliche Dankbarkeit zeigen. Schließlich ist jedes Boot fast schon ein Heiligtum und jeder Besitzer hat eine innige Beziehung dazu. Aber ich war doch über dieses positive Feedback überrascht, was ja wiederum auch sehr befriedigend für die Arbeitsmoral ist.

 

„Mangelndes Interesse von Jugendlichen wundert mich“

Also sollte es mehr romantische Bootsbauer geben?
Natürlich! Der Beruf hat gerade bei unseren deutschen Nachbarn einen viel höheren Stellenwert. Österreich ist kein Bootsbauerland, das merkt man schon am Lernstoff, der seit 30-40 Jahren fast unverändert ist. Aber mit dem Beruf liegt die Welt gerade jungen Leuten zu Füßen. Und wenn ich die Segel- und Boot-Szene am Bodensee so mitverfolge, wundert es mich wirklich, dass sich keine Jugendlichen für den Beruf interessieren. Alle Anfragen, die uns erreichen, sind erwachsene Quereinsteiger. Auch unser aktueller Lehrling ist über 40!